Rotgelbe Legenden - Eine Serie von Manfred Kraus

Teil 5 über Fredl Hynek


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„Des isch doch noh a Biable, der isch ja wia a Kind“, gaben die Zweifler mahnend zu bedenken, als der schmächtige Bursche der Kaufbeurer Eishockeymannschaft beitreten wollte. Tatsächlich wirkte der kleine Fredi schmal wie ein Hemd und blutjung war er obendrein. Allerdings hatte er auch durch sieben Tore gegen Augsburgs Nachwuchs auf sich aufmerksam gemacht. Also schob man dem Siebzehnjährigen kurzerhand einen zweiten Schulterschutz unter den Dress, um ihn wenigstens etwas breiter erscheinen zu lassen, und nahm ihn auf. Dass aus dem jungen Hüpfer dereinst eines der ganz großen Kaufbeurer Eishockeyidole werden sollte, ahnte da noch niemand.

Man schrieb das Jahr 1950. Gerade einmal vier Jahre waren vergangen, seitdem gut zwei Dutzend junge Kaufbeurer im Schattenwurf einer düsteren Zeit den Eissportverein aus der Taufe gehoben hatten, um wieder Licht in ihr Leben zu bringen. Die Männer der ersten Stunde. Gründerväter und Eishockeyspieler zugleich.

Einer von ihnen: Fritz Sturm, der im Februar 2020 von uns gegangen ist. Als Letzter von damals. Anno fünfzig aber selbst noch ein Jungspund und trotzdem schon ein alter Hase. „Fredl stieß als Jugendlicher zu uns und er wurde sofort in die Erwachsenenmannschaft aufgenommen. Mir war vergönnt, ihn mit ausbilden zu dürfen. Er war ein großartiger Schlittschuhläufer und ein unvergleichlicher Goalgetter mit einem ungeheuren Torinstinkt. Außerdem war Fredl ein Pfundskerl. Ein Leben lang gab es von ihm nie ein böses Wort. Ein wunderbarer Mensch.“

Eine bewegte Zeit war das damals. 1950. Der Kalte Krieg trieb einen Keil zwischen den Osten und den Westen, in Korea sprachen die Waffen und Deutschland war in zwei Teile zerbrochen. Längst hatten die Menschen begonnen, ihr Schicksal selbst in die Hände zu nehmen. Wie die eishockeyverrückten jungen Männer in Kaufbeuren, denen der Sport so viel gab. Ein hinreißendes Schwarzweißbild hat sie festgehalten. Im Vereinslokal Hirschkeller. Urgesteine allesamt. Luggi Schuster, Helmut Posselt, Gisbert Thamm, Sepp Wannemacher, Max Amann, Walter Schaudeck, Fritz Sturm, Max Mayer, Fritz Medicus. Und Fredl Hynek, der die Zweifler im Nu verstummen ließ, denn der Grünschnabel aus Neugablonz schlug trotz seiner Jugend und seines zierlichen Körperbaus auf Anhieb prächtig ein. Er brauchte keine Eingewöhnungszeit. Herzerfrischend trug er die Angriffe nach vorne, intelligent setzte er seine Mitspieler ein und vor dem Tor war er brandgefährlich. Fredl Hynek zahlte das in ihn gesetzte Vertrauen augenblicklich zurück. Mit vollen Händen. Ein pfeilschneller Vollblutstürmer, der seine körperliche Unterlegenheit durch läuferische Klasse vergessen machte, die Gegnerschaft mit verblüffenden Tricks narrte und sich etwas traute, wenn es darauf ankam. Gleich in seinem Debütjahr entschied er das nervenaufreibende Spiel um den Aufstieg gegen den SC Weßling zugunsten seines ESVK. Mit einem Penalty. Mit Raffinesse. Mit siebzehn.

Binnen kürzester Zeit wuchs Fredl Hynek zu einem vorzüglichen Stürmer heran. Mit Reinhold Rief und Georg Scholz bildete er Kaufbeurens unwiderstehliche Paradereihe der Fünfziger und das Herzstück der Mannschaft, die 1956 durch den Oberligaaufstieg erstklassig wurde und 1959 erstmals in die ein Jahr zuvor gegründete Bundesliga einzog. Das kongeniale Trio harmonierte blind und die Spielfreude der ehrgeizigen Himmelsstürmer war überbordend. Wenn dann doch einmal ein Angriff misslang, verschaffte sich der Ärger des enttäuschten Augenblicks nicht selten durch ein ungehaltenes „Zefix“ Luft. Ein Ausruf, der gleichsam sprichwörtlich für die vor Spiellaune sprühende Reihe wurde und sie schon bald als den „Zefixsturm“ beim hingerissenen Kaufbeurer Publikum in aller Munde sein ließ.

Zeitungsartikel: Aus der Kaufbeurer Tageszeitung vom 2. März 1959

Zeitungsartikel: Aus der Kaufbeurer Tageszeitung vom 2. März 1959

„Als wir Füssener Mitte der Fünfziger runter nach Kaufbeuren gekommen sind“, erinnert sich sein Eishockeyzwilling Ripfl Rief noch ganz genau, „wurden wir vom Fredl sehr freundlich aufgenommen. Er war ein unheimlich starker Torjäger. Zusammen mit Joe Scholz haben wir einen tollen Sturm gebildet und mitgeholfen, den ESVK aufzubauen. Wir waren sehr ehrgeizig. Auch wenn es damals kein Geld gab. Das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Wir sind immer sehr gute Freunde geblieben.“

Der listenreiche Knipser reifte zu einem der besten und torgefährlichsten Stürmer Deutschlands heran und als er sich 1960 in der Bundesliga auf den dritten Platz der Torschützenliste schoss, obwohl er für das Schlusslicht auflief, waren sämtliche Spitzenvereine hinter ihm her. Die beherrschenden Klubs aus Füssen, aus Tölz und vom Riessersee wollten ihn unbedingt haben. Auch Mannheim und Berlin streckten ihre Finger nach ihm aus. Am hartnäckigsten jedoch buhlte der VfL Bad Nauheim um das begehrte Allgäuer Eishockeyjuwel und die Wetterauer unterbreiteten ihm ein äußerst lukratives Angebot.

„Der Nauheimer Vorstand reiste eigens an und man bot mir in der Kurstadt ein Reihenhaus, ein festes Gehalt und eine Arbeitsstelle, in der ich nicht viel zu arbeiten gehabt hätte“, beschrieb der gelernte Bäcker, der sein berufliches Wirken ein Leben lang den Kranken und Behinderte widmete, anschaulich die Verlockungen jener aufwühlenden Tage, „wir hatten doch alle kein Geld und hätten gut etwas gebrauchen können. Beim ESVK gab es wirklich nichts zu verdienen. Einmal zog der Vorstand in Erwägung, uns für ein Spiel zwanzig Mark zu bezahlen, doch hat sich das dann auch wieder zerschlagen.“ Die Konkurrenz lockte. Da konnte man schon ins Grübeln geraten. Den Kopf verdrehen aber ließ sich Fredl Hynek nicht. Er hing an seinem ESVK und schlug die verführerischen Angebote aus. Die Verbundenheit mit Kaufbeuren und die Treue zu seinem Heimatverein obsiegten. Er blieb.

„Fredl war einfach ein bodenständiger Kaufbeurer und ein unheimlich netter Mensch, ein Vorbild, ein Kumpel“, hält auch der ehemalige Nationalspieler Manfred Hubner große Stücke auf den Klassestürmer, dem er damals noch als Nachwuchsspieler nacheiferte. „Als Angreifer strahlte er eine ungeheure Gefährlichkeit aus. Er war ein ständiger Unruheherd. Seine überragende läuferische Klasse, seine Schnelligkeit und die Urgewalt seines harten und platzierten Schusses waren seine ganz großen Trümpfe.“

Trotzdem hatte der Kaufbeurer Teufelskerl in der Blüte seiner Schaffenskraft eine herbe Enttäuschung zu verkraften, denn obwohl er 1960 fest für die deutsche Olympiaauswahl vorgesehen war und sich der Verband auch schon vergewissert hatte, dass die junge Familie Hynek den frischgebackenen Vater für die Dauer des Turniers entbehren würde können, blieben ihm die Winterspiele von Squaw Valley als Karrierehöhepunkt verwehrt. Zurück blieb ein zerplatzter Traum und ein fader Beigeschmack. Zwar wurden seinerzeit für die Nationalmannschaft tatsächlich vorzugsweise ganze Vereinsblöcke nominiert, was dem Kaufbeurer vorderhand keine guten Karten zuspielte, wohl aber besaßen andere Vereine und deren Olympiaanwärter ganz augenscheinlich darüber hinaus auch noch ungleich bessere Beziehungen als der aufstrebende Verein von der Wertach.

Kaufbeuren aber befand sich im Eishockeyfieber. Als im November 1960 der kampfstarke SC Ziegelwies zum Oberligaschlager im Jordanpark aufkreuzte, herrschte an den Kassenhäuschen Ausnahmezustand. Scharenweise pilgerten die Eishockeyfreunde zum elektrisierenden Allgäuer Derby und in dem unbeschreiblichen Gedränge wollte jeder sein Billett ergattern. Als schließlich über tausend Wartenden der Einlass verwehrt werden musste, stürmten nicht wenige das ohnehin zum Bersten volle Freiluftstadion. Ohne Schuhe und ohne Socken wateten die Menschen durch den eiskalten Jordanbach, sie stiegen über Mauern und Zäune, kletterten auf Bäume, um dabei zu sein, wie der ESVK das Duell der beiden verlustpunktfreien Spitzenmannschaften mit 5:2 für sich entschied.

„Es war ein großartiger Abend. Im Stadion herrschte Hochstimmung. Kaufbeuren hatte unglaublich treue Zuschauer“, schwärmte Publikumsliebling Fredl Hynek noch weit mehr als ein halbes Jahrhundert später von dem Derby, das in den Drittelpausen zudem den Auftritt der olympischen Silbermedaillengewinner Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler erlebte. Erst Tage später sickerte allmählich durch, dass sich erheblich mehr als sechstausend Leute auf die hoffnungslos überfüllten Holztribünen gezwängt hatten.

Der ESVK entwickelte sich prächtig und der Wiederaufstieg in die Bundesliga gelang vortrefflich. Gestützt auf den fünfunddreißigfachen Torschützen Fredl Hynek und dessen zweiunddreißigmal erfolgreichen Zwilling Reinhold Rief, holten die Allgäuer mit rekordverdächtigen 35:1 Punkten überlegen die Oberligameisterschaft, um in den beiden Relegationsspielen den Bundesligaletzten VfL Bad Nauheim mit 10:1 und 6:2 nach allen Regeln der Kunst auseinanderzunehmen.

Dem ESV Kaufbeuren standen glänzende Jahre bevor. Zwar hatte sich Joe Scholz in Richtung Füssen verabschiedet, doch war für ihn im Tausch Xaver Unsinn nach Kaufbeuren gekommen, sodass die Rotgelben weiterhin auf eine überragende Paradereihe bauen konnten. Der berühmte Stürmer und spätere Bronzeschmied von Innsbruck, von dem man sagt, er habe seinen Vertrag mit dem ESVK auf einem Bierdeckel abgeschlossen, hatte sein Kommen allerdings unabdingbar von Fredl Hyneks Verbleib abhängig gemacht. Wenn der Fredl nicht bleibe, dann komme er nicht, hatte der achtfache Meisterspieler in knappen Worten seine Wertschätzung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

Die sechs Jahre währende Ära Unsinn geriet zur großen Kaufbeurer Blütezeit der Sechziger. Erst als Spielertrainer und dann als Trainer formte der gebürtige Füssener aus dem ESVK eine deutsche Spitzenmannschaft und Spielführer Fredl Hynek zog seine Kameraden auf ungeahnte Höhen. Die Jungen konnten sich an ihm ausrichten und von ihm lernen, die gestandenen Mannschaftskameraden riss er durch seine Leidenschaft mit. Spiel- und kampfstark bot der ESV Kaufbeuren den alten Platzhirschen die Stirn. Er ließ sich nicht mehr aus dem Revier vertreiben. Die Kleinstadt an der Wertach feierte Eishockeyfeste und auch die Ergebnisse ließen nicht zu wünschen übrig. Auf Jahre hinaus etablierte sich der ESVK im deutschen Eishockey als führende Kraft. Er zog wiederholt in die Meisterrunde der besten Vier ein und überzeugende Siege gegen die vormals geradezu unerreichbaren deutschen Spitzenmannschaften EC Bad Tölz und SC Riessersee häuften sich.

Allmählich aber sah auch der Instinktspieler Fredl Hynek die Zeit für seinen Rückzug herannahen und im Jahr 1965 wollte er nach vierhundertdreißig Spielen im Dress des ESVK seine Schlittschuhe eigentlich an den Nagel hängen. Doch dann trat der EV Landsberg auf den Plan und Fredl Hynek wurde noch einmal schwach. Beim Nachbarverein brach er alle Torrekorde und schnell war er auch dort ein Eishockeyheld, den man auf Schultern vom Bahnhof zum Stadion trug. Wäre Anfang März 1966 nicht das hochdramatische Entscheidungsspiel um den ersten Platz der Oberliga im rappelvollen Berliner Sportpalast mit 6:8 an den punktgleichen BSC gegangen, hätte der von der Berliner Presse in den Himmel gehobene Fredl Hynek den EVL sogar in die Bundesliga geführt.

Dem Kaufbeurer, zwischenzeitlich zum Trainer geworden, gefiel es am Lech und obwohl ihn sowohl die Stadt als auch der Verein mit Ehrungen und Urkunden überhäuften und alle Hebel in Bewegung setzten, um ihn zum Bleiben zu bewegen, sorgte ESVK-Trainer Markus Egen 1969 dafür, dass der sympathische Sportler in seine Heimat zurückkehrte, um seinem ESVK zusammen mit Hans Kerpf, Manfred Hubner, Walter Köberle, Rudi Uhrle, Florian Strida und dem ebenfalls heimgekehrten Joe Scholz in der nagelneuen Halle am Berliner Platz Stabilität zu verleihen. Fredl Hyneks Landsberger Torflut hatte ihn überzeugt, dass der Routinier für seine Mannschaft noch einmal sehr wichtig sein würde. Als der große Kaufbeurer Eishockeysohn an Weihnachten schließlich seine herausragende Spielerlaufbahn endgültig beendete, schloss sich dort, wo 1950 alles seinen Anfang genommen hatte, ein Kreis.

Nach seiner Spielerlaufbahn wollte Fredl Hynek indessen keinesfalls rasten. Er trainierte zunächst die Jugend des ESVK, ehe ihm ein außergewöhnliches Kunststück gelang, das ihn auch als Nachwuchsförderer unsterblich werden ließ, führte er doch 1971 die phantastische Kaufbeurer Juniorenmannschaft, ob deren Klasse sich ganz Eishockeydeutschland die Augen rieb, zur hochverdienten und vielumjubelten deutschen Meisterschaft. Kaum hatte er also seine eigene Tür hinter sich zugezogen, stieß er für seinen ESVK schon eine neue weit auf. Vielversprechende Talente vom Schlage eines Peter Ustorf, Stefan Metz, Georg Riederer oder Gerhard Schuster glichen einem Wechsel auf die Zukunft.

Fredl Hynek ist zeitlebens ein Rotgelber geblieben und selbst als er bereits schwer von seiner heimtückischen Erkrankung gezeichnet war, brachte er sich noch 2015 im Kreise der alten Recken um die beiden Gründungsmitglieder Luggi Schuster und Fritz Sturm engagiert in den Kampf um eine neue Eishalle ein. Als es schließlich geschafft war, beteuerte der einstige Herzblutstürmer bei unserer letzten Begegnung beinahe beschwörend: „Ich hänge am Verein und an der Stadt. Wo wir im Leben auch hingekommen sind, wurde der Name Kaufbeuren in einem Atemzug mit dem Eishockey in Verbindung gebracht. Wenn es ein bisschen geht, kommen wir zur Einweihung in die neue Halle.“

Fredl Hynek sollte den Bau und die Eröffnung der Erdgas Schwaben Arena nicht mehr erleben. Seine schwerwiegende Krankheit ließ nicht locker. Sie besaß den längeren Atem. Anfang Mai 2016 wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Alten Friedhof zu Grabe getragen. Mit ihm hat das Kaufbeurer Eishockey einen seiner ganz Großen verloren.

Der Familienmensch Fredl Hynek war ein Rotgelber aus Leidenschaft und ein Kaufbeurer mit Leib und Seele, ein begnadeter Stürmer, ein famoser Torjäger, ein mannschaftsdienlicher Teamspieler und ein untadeliger Sportsmann, für den Fairness an oberster Stelle stand. Er ist aber auch stets ein sehr bescheidener Mensch und mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Erst dadurch wird ein großer Spieler zum Idol.

 

Fredl Hynek

Geboren: 29. November 1933 in Gablonz an der Neiße

Gestorben: 1. Mai 2016

Rückennummer: #6

Position: Stürmer

Größte Erfolge mit dem ESVK: Zweimal Bundesligavierter (1964 und 1965), Dritter der Torschützenliste (Bundesliga 1960)

Spielerlaufbahn beim ESVK: 1950 bis 1965 und noch einmal 1969

International: Deutscher B-Nationalspieler (seinerzeit von hoher Bedeutung)

Trainerlaufbahn beim ESVK: Jugendtrainer (1970), deutscher Meister mit den Junioren (1971)

Weitere Stationen: Spieler und Trainer beim EV Landsberg (1965 bis 1969) sowie erneut Vereinstrainer beim EV Landsberg, beim EV Bad Wörishofen und beim EV Fürstenfeldbruck (ab 1971)

 

Text: Manfred Kraus, Apfeltrach
Grafik: Manuel Ort

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